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wer nicht weiß, was er will, kann nicht sagen was er braucht

Wissen was man will, sagen was man braucht

 

 

Zwischen 1890 und 1914 sind die meisten der heute noch in Betrieb befindlichen Theater erbaut worden. Das erstarkte städtische Bürgertum errichtete sich, teilweise mit Spenden und Sammlungen, seinem Selbstverständnis entsprechende Kulturbauten in den Herzen ihrer Städte. Der positive Wettbewerb der aufstrebenden Städte schuf die heutige einmalige Theaterlandschaft, deren Grundstein bereits dreißig Jahre nach dem 30- jährigen Krieg durch die konkurrierenden Fürstenhäuser in Gang gebracht worden war. Damals entstanden bereits in den deutschen Kleinstaaten höfische Theater, die sich später teilweise für das Bürgertum öffneten oder seltener sogar von ihm errichtet wurden, aber spätestens Ende des 19. Jahrhunderts den Anforderungen des prosperierenden Bürgertums nicht mehr gerecht waren. Die Rede des damaligen Bürgermeisters zur Eröffnung des Theaters von Osnabrück, gebaut von Martin Dülfer, bezeugt eindrucksvoll die Haltung der Bürgerschaft: „Das Theater ist eine Bildungsstätte höchster Wertschätzung, eine Stätte zur Bildung des Geistes und Herzens, zur Vervollkommnung im Wissen, in Wissenschaft und Kunst, eine Erziehungs- und Erholungsstätte nach geistiger und körperlicher Arbeit.“ Klingt nach Aufklärung und Selbstbewusstsein! Und nach Herzensbildung, eine wunderbare und leider in Vergessenheit geratene Form der Bildung. Dass Bildung der Schlüssel zu Wohlstand ist, sollten wir einigen (Kommunal-) Politikern immmer wieder sehr deutlich machen.

 

Der Bestand

Jene Theater, die damals gebaut oder nach dem Krieg rekonstruiert wurden, sind bei Sanierungen eine echte Herausforderung an Theaterleute, Architekten und Planer. Die Logistik eines modernen Theaterbetriebs in ein Bauwerk des vorletzten Jahrhunderts zu integrieren, ist beinahe eine Sache der Unmöglichkeit. Über viele Jahre oft gab es Versuche der Sanierung mit wechselhaftem Erfolg- haben kleinere und größere Eingriffe ins Gebäude ihre Spuren hinterlassen bzw. Gewohnheiten erzeugt, die die Theatermitarbeiter als natürliche Gegebenheiten beurteilen und sich mit den Mängeln arrangiert haben. So entsteht bei der Bestandsermittlung durch Planer mitunter der Eindruck, die Mitarbeiter seien mit dem Ist- Zustand zufrieden. Dabei handeln sie aus Erfahrung nach dem Motto: Was wir haben wissen wir, was wir bekommen, nicht! Denn geredet wurde über Notwendigkeiten schon häufig, getan hatte sich hingegen nichts.

Eine Bestandsaufnahme muss daher immer die kühle Betrachtung des Zustandes eines Theaterbaus und aller Einbauten sein. Dabei benötigt ein Architekt oder Fachplaner tiefere Kenntnis der vielfältigen Nutzungen des Hauses. Für den nächsten Schritt, die Bedarfsermittlung, ist dies von höchster Bedeutung. Die Entstehung und Erbauung des Theaters sagt auch viel über seine Gegenwart und Entwicklung aus. Ein entscheidender, aber oft vergessener Aspekt. Erfahrene Theaterlogistiker

und beste Kenner der Strukturen ihrer Theater sind die Technischen Direktoren. Ihre Mitwirkung ist vielleicht die wichtigste Voraussetzung für einen gelungenen Umbau. Intendanz und Geschäftsleitung erkennen im Gegensatz zu den meist öffentlichen Trägern der Theater die Notwendigkeit ihrer Mitwirkung, sehen aber die zeitlichen Konsequenzen nicht. Diese Mitwirkung, meist Projektleitung für das Theater genannt, bedingt einen Zeitaufwand, der einer zweiten Anstellung gleichkommt. Als Mittler zwischen Theater, Bauherrn und Architekten kommt dieser Kommunikationsebene besondere Bedeutung zu (für Architekten ist diese Beratung als „Besondere Leistung“ nach HOAI verfügbar). Große Häuser leisten sich dafür mitunter zusätzliche Mitarbeiter, die diesem Aufwand gerecht werden können und Hand in Hand mit dem technischen Direktor arbeitend die Planungen begleiten oder steuern. Von einer solchen Praxis sind die meisten aber noch weit entfernt. Kann ein Technischer Direktor die zusätzlichen Aufgaben für sein Haus wahrnehmen? Die Antwort muss klar: „Nein!“ heißen. Der hochgeschätzte Kollege Rainer Münz hatte bereits im Jahre 2011 in Heft 03 der BTR ausführlich darüber berichtet. Ein Artikel, der nichts von seiner Aktualität verloren hat und aus heutiger Sicht die Notwendigkeit gerade im Hinblick auf langwierige Projekte besonders unterstreicht.

 

Der Bedarf

Wenn das Haus im Hinblick auf Statik, Bauphysik, Bühnen- und Beleuchtungstechnik, Brandschutz und Haustechnik (wie z.B. Elektroinstallationen, Heizung und Klimatechnik) überprüft wurde, wenn Arbeitsplätze und die Raumsituationen erfasst wurden sowie die Denkmalpflege ihre Ansprüche formuliert hat, kann der Bedarf des Theaters für eine zukunftsfähige, nachhaltige Planung ermittelt werden. Welche Werkstätten benötigt man unbedingt im Haus, sind Proberäume und Garderoben ausreichend in Anzahl und Größe vorhanden und entsprechen sie den gesetzlichen Bestimmungen? Können extern verlagerte Werkstätten-und Probenräume die Logistik des Hauses und die Beschaffenheit der Arbeitsplätze nachhaltig verbessern? Wie lange werden Probenräume genutzt, wie lange sind Mitarbeiter Kunstlicht ausgesetzt? Kann ins Gebäude zusätzlich Tageslicht eingebracht werden? Ist die Sicherheit für Mitarbeiter und Besucher noch zeitgemäß? Wie löschen wir im Brandfall? Wie schützen wir das Gebäude mit seinen Werten? Dies sind nur beispielhaft einige der vielen Fragen, die in solchen Fällen auf der Agenda stehen.

Im Rahmen einer Vorplanung ist die Beantwortung solcher Fragen nicht so wichtig wie deren Sammlung. Hat ein Theater oder ein Projektleiter die Möglichkeit, während der Vorplanung Architekten und Planer bereits einzubeziehen, können diese Unterlagen zukünftigen Planern eine präzise Grundlage schaffen. Die Nutzer sind dann Handelnde und das Theater folgt im Grunddenken den Nutzungen und nicht den Gestaltungen durchaus wohlmeinender Planer. Jetzt müssen auch die Wünsche der Mitarbeiter an ihre Arbeitsplätze formuliert werden. In Gesprächen mit den Abteilungsleitern und später mit deren Mitarbeitern können hier die Notwendigkeiten und Ziele formuliert werden, die später im Einzelnen mit den Planern zu konkretisieren sind. Mitunter ist die Einbeziehung von Profis zur Gesprächsführung von Vorteil. Die Moderation dieser Treffen kann im besten Fall von externen Beratern übernommen werden. Das schafft eine professionelle Ebene, die der Sache dient. Die Einbeziehung Dritter sorgt für eine gute Gesprächsatmosphäre und die unverstellte Analyse schafft Klarheit im Umgang mit den Wünschen der Mitarbeiter. Alle Phasen einer Sanierung sind für Mitarbeiter aufwendig und anstrengend. Das Gefühl bereits im Vorfeld mitgenommen zu werden, erleichtern nicht nur die Maßnahmen für den eventuellen Umzug in eine

 

Interimsspielstätte, sondern schafft auch das nötige Vertrauen in die Gruppe der Architekten und Planer.

 

Das Konzept

Nach der möglichst genauen Bedarfsermittlung muss ein Konzept bzw. Nutzungskonzept entwickelt werden. Unter Einbeziehung technischer Neuerungen und veränderter künstlerischer Ansprüche soll ein nachhaltiges Wirken für mindestens dreißig Jahre möglich sein. Betrachtet man sanierungsbedürftige Häuser, liegt der Zeitraum selbst teilweiser Erneuerungen oft deutlich länger zurück. Die Bereitschaft, im Rhythmus dieses Zeitraums tätig zu werden, kann langfristige Planungen möglich machen und einen Stau von Notwendigkeiten sowie eine Erhöhung der Sanierungskosten in den Gebäuden vermeiden. Das Einbringen von technischen Innovationen erfüllt nicht nur die Ansprüche an ein modernes Theater mit guten und sicheren Arbeitsplätzen, es erhält auch die Werte professioneller Anlagen. So kann eine moderne Sprühflutnebellöschanlage im Bühnenbereich die dort verorteten sensiblen Anlagen- und Bauteile im Einsatzfall der Feuerwehr maßgeblich schützen. Eine Kosten /Nutzen Debatte fällt im Einsatzfall stets zugunsten der modernen Technik aus. Auch gerade im Bereich der Haustechnik sind fortschrittliche Technologien langfristig günstiger und stärken die Umweltbilanz eines Gebäudes. Diese Informationen in der Vorplanung zu recherchieren, den Einsatz zu prüfen und Erkenntnisse zugänglich zu machen, ist wichtiger Teil dieser Planungsphase null, der Planung vor der Planung.

 

Ein Raumkonzept ermöglicht eine gezielte Weiterentwicklung durch die Planer und sollte, um Fehlplanungen zu vermeiden, laufend fortgeschrieben werden. Dadurch können aktuell alle Möglichkeiten zur Nutzung vor der eigentlichen Entwurfsplanung aufgenommen werden. Ersatzspielstätten für den Zeitraum einer Sanierung so zu konzipieren, dass eine Nachnutzung als Proben-oder Werkstättengebäude im Anschluss möglich ist, ist eine kostengünstige und äußerst sinnvolle Alternative zu Lösungen im Altgebäude, die Anforderungen an moderne Arbeitsstätten meist aufgrund nicht gegebener Erweiterungsmöglichkeiten nicht zulassen. Die oft gewünschte Erhöhung der Anzahl der Produktionen bedingt die Möglichkeit der Schaffung von Probebühnen im Maßstab 1: 1 zur Bühne des jeweiligen Hauses.

 

Die Erkenntnis

Sanierungen sind nichts für Mutlose. Wer nicht weiß was er will, kann nicht sagen was er braucht! Die Theatermacher müssen durch die rechtzeitige und ganzheitliche Betrachtung ihrer Häuser aus der Reaktion kommen. Agieren kann nur der, der bereits für sich und sein Theater Entscheidungen getroffen und angenommen hat. Die Planung vor der Planung ist ein entscheidender Faktor für das Gelingen schwieriger Sanierungsmaßnahmen. Profis aus Architektur und unterschiedlichen Fachrichtungen mit den komplexen Strukturen vertraut machen, gleichzeitig auf die Politik einwirken und Kenntnisse vermitteln, kann nur durch eine gezielte Projektmoderation erfolgen. Theaterleitungen sollten sich helfen lassen! Auch die oftmals gefürchtete, weil falsch verstandene Denkmalpflege, kann kreativer und konstruktiver Partner sein! Eine ungenaue Vorplanung lässt Kosten explodieren und macht Änderungen und ungeliebte Nachträge notwendig. Das Theater muss seine Bedürfnisse und Ziele klar formulieren und macht es damit jeder weitergehenden Planung leichter, die Theaterarbeit und die ihre unterschiedlichen Nutzungen zu verstehen, die die Grundlage einer jeden Planung bilden. Es muss mit klaren Vorstellungen oder guten Fragen in die ersten

 

Baubesprechungen gehen. Die komplexen Strukturen eines Kulturbaus sollten in der moderierten, ganzheitlichen Bestands- und Bedarfsermittlung der Planungsphase null sinnvoll erfasst werden. Die Nutzer, nicht die Planer, müssen die Richtungsentscheidungen der zukünftigen nachhaltigen Nutzung festlegen, um termingerecht, kostenorientiert und erfolgreich eröffnen zu können. Wir wollen Theater weiterhin in den Herzen der Städte als klassische Marktplätze, das Nebeneinander von Bravos und Buhs, die besondere Kraft der Kunst und die Stärke der Künstler. Fordert die Politik zum Handeln auf! Wer nichts fordert, bekommt auch nichts!

 

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