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Fachkräftemangel/ Deutsche Bühne Interview

Fachkräftemangel am Theater

 

Herr Rohde, Theater produzieren zwar Kunst, aber dazu gehören nicht nur Künstler, sondern auch nichtkünstlerische Fachkräfte aus unterschiedlichsten Berufen. Und da klagen die Theater über Probleme, attraktive Bewerber für offene Stellen zu bekommen. Ist dieser Fachkräftemangel ein theaterspezifisches Problem?
Wesko Rohde: Nein, natürlich nicht. Aber da Theater Orte sind, an denen Fachmenschen unterschiedlichster Gewerke besonderen Einfluss auf eine Ensembleleistung haben, trifft es die Theater mit besonderer Härte. Wir erleben gerade eine vollständige Veränderung der Arbeitswelt, die Diskussionen über Work-Life-Balance und linearer Lebensplanung haben die Theater längst erreicht. Sie werden nur leider nicht mit der nötigen Leidenschaft besprochen. Theater sind aber absolut die richtigen Orte für diese Art der gesellschaftlichen Diskussion. Gerade hier müssten die Weichen für moderne (Arbeits- und Lebens-) Orte gestellt werden. Vor dreißig Jahren hat man uns erzählt, dass Computer die Arbeit erledigen und wir deutlich mehr Freizeit haben werden. Nun haben wir deutlich mehr Vorstellungen und erledigen teilweise irrwitzige bürokratische Vorgänge mit unhinterfragter Selbstverständlichkeit. Ein Rückgang von Arbeit ist in näherer Zukunft nicht in Sicht. An den Prioritäten müssen wir arbeiten. 

 

Das heißt: Einerseits gibt es an den Theatern eine ähnliche Arbeitsverdichtung wie in anderen Berufen auch. Andererseits wollen die Menschen dort an gewissen  sozialen Erleichterungen ebenso teilhaben wir Menschen andernorts auch. Nun ist das Theater aber doch ein ganz besonderer Arbeitsplatz, mit besonderen Spielregeln, zeitlichen Rhythmen und auch mit einem besonderen Produkt: Sie machen Kunst.

Wesko Rohde: Richtig. Aber trotzdem kann man die Theater nicht aus den gesellschaftlichen Entwicklungen heraus denken. Und man kann auch nicht argumentieren: Das Theater ist so besonders, da sollen sich die Mitarbeiter mal mit Forderungen zurückhalten. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wir brauchen die besten (Arbeits- und Lebens-)Orte, nicht solche, in denen die Mitarbeiter mal gerade so geduldet sind. Der Mangel an Wertschätzung der Mitarbeitenden macht die teilweise hochkreativen Berufe hinter der Bühne gewiss nicht attraktiver.

Was müsste sich denn konkret ändern?

Wesko Rohde: Es fängt schon bei den Häusern an, die teilweise alles andere sind als moderne Arbeitsplätze – und das seit langer Zeit. Dafür sind keineswegs immer die Theaterleitungen verantwortlich. Und ich kann die künstlerische Leitung eines Hauses sogar verstehen, die sagt, ich will hier Theater machen und nicht bis zum Ende einer sich immer länger hinziehenden Sanierung in irgendeinem Zelt überwintern. Aber so zu denken ist langfristig weder nützlich noch nachhaltig. Das gilt insbesondere für eine Politik, die die Theater bis heute teilweise rigoros unter Spardruck setzt. Das war und ist zu kurz gedacht und hat die Theaterlandschaft  in den letzten Jahrzehnten erheblich beschädigt, vor allem im ländlichen Raum und nicht nur in Häusern mit eigenem Ensemble. Die sparende Politik hatte leichtes Spiel und hat Posten nach Sparwillen besetzt und nicht nach Konzept. Die Verwalter siegten – aber hoffentlich nicht dauerhaft – über die Kreativen in Kunst und Technik.

 

Ist das nicht sehr einseitig betrachtet? Natürlich gab es die Sparattacken, von denen Sie reden. Aber ich sehe auch landauf, landab eine Bereitschaft, die Theater zu schützen – auch durch große Sanierungen in Nürnberg, Karlsruhe, Mannheim, Stuttgart oder Frankfurt, die auch die Arbeitsplätze attraktiver machen.


Wesko Rohde: Das ist so, und es entspricht auch der Tradition der Theaterbauten. Diese Gebäude waren schon immer historisch Orte, an denen besondere und innovative Technik zuerst zum Einsatz kam, und sie waren zugleich auch immer Orte einer aktiven Entwicklung von Stadtgesellschaften. In Berlin waren die Theater elektrifiziert, lange bevor die Straßenbahnen elektrisch fuhren. Das macht auch etwas mit den Menschen. Das Problem ist nur: Die unbestrittene Attraktivität der Theaterberufe erreicht heute den Fokus der Berufseinsteiger und Einsteigerinnen nicht mehr. Junge Menschen wünschen sich Berufe, mit denen sie nicht nur ausschließlich ihren Lebensunterhalt bestreiten können, sondern Wertschätzung und Erfüllung erfahren. Das können Theater unbedingt, ja, aber dafür müssen sie sich technisch und personell entwickeln und Vorbild sein, nicht Schlusslicht.

Wo sehen Sie die größten Mängel?

Wesko Rohde: Fort- und Weiterbildung, attraktive Verträge, die eine Lebensplanung möglich machen und Entwicklung bieten, Aufstiegsmöglichkeiten, neue Arbeitszeitregelungen, die zur Arbeit passen und Beteiligung am kreativen Prozess ermöglichen. Nicht zuletzt gute moderne Arbeitsplätze in gepflegten Häusern. Wenn Studierende das Theater nach dem Studium erreichen, kann das, je nachdem, wo sie ihren Berufseinstieg finden, ein ernüchternder Einblick sein. Die Technik, an der sie ausgebildet wurden und die man auf Messen und in einigen modernen Häusern vorfindet, sind auf vielen Bühnen nicht zu finden. Allein das hat zur Folge, dass, wer Theatertechnik studiert hat und sich offensiv entwickeln möchte, nicht unbedingt mehr an ein Theater geht. Er oder sie findet auch in der Automobilbranche kreativ-technische Möglichkeiten – und zwar deutlich besser bezahlt. Und die Veranstaltungsbranche bietet nebenbei auch viele andere attraktive Perspektiven.

Warum trifft es gerade jetzt die Theater? 
Wesko Rohde: Sowas fällt nicht plötzlich vom Himmel. Wir haben viel zu lange geglaubt, dass wir die tollsten Arbeitsplätze der Welt haben. Da denkt ein Dramaturg eventuell anders als ein Maschinist. Es fehlt an der perspektivischen Entwicklung, an langfristigen Planungen mit Etappenzielen, persönlich und für die Bauwerke. Es wurde versäumt, sich für die Ensemblekunst Theater stark zu machen und die Menschen, die sie ermöglichen,  zu pflegen –und zwar alle. Auf Dauer funktioniert dieser Organismus nur komplett oder nicht!

Und was kann man aus Ihrer Sicht tun, um Abhilfe zu schaffen?
Wesko Rohde: Da ist bereits sehr viel in Bewegung. Wir führen jetzt öffentliche Diskussionen, mit denen wir noch vor drei Jahren kaum Resonanz gefunden hätten. Die DTHG ist längst nicht mehr die Organisation, die einigen wenigen Technischen Direktoren ein Netzwerk mit Gestaltungsmöglichkeiten eröffnete. Heute kann man sich bei uns engagieren und wird gehört in den Häusern und in der Politik. Eine deutliche Modernisierung und frische und angeregte Diskussionen beobachte ich auch auf der Jahrestagung oder bei anderen Veranstaltungen des Bühnenvereins. Die Theaterleute rücken näher zusammen und bewältigen gemeinsam die Zukunftsaufgaben. Es gibt aber viel zu tun. Die Stimmung in vielen Theatern ist immer noch düster. Da müssen wir ansetzen und konkrete Hilfe anbieten. 

 

Vorhin haben Sie vor allem die Sparpolitik mit deutlichen Worten angeprangert. Was können denn die Theater und deren Interessenvertreter selbst tun? 

Wesko Rohde: Na, wir tun ja schon eine Menge. Beispielsweise mit unserem Leitfaden für die Sanierung von Theatern und Kulturbauten, der erfreulicherweise seit seinem Erscheinen im Juni weggeht wie warme Semmeln. (Download unter: heritage.dthg.de). Wir betreiben gemeinsam die Arbeitsgruppe Arbeitsplatz Zukunft, in der unsere Positionen und Entwicklungen diskutiert, analysiert und richtungsweisend vorangetrieben werden. Da geht es hoch her, aber erfreulicherweise passiert auch viel. Konstruktiver Umbruch. Wo alle das Gleiche denken, wird nicht viel gedacht, sagt Karl Valentin. Deshalb brauchen wir diese Diskussionen, auch kontroverse, wenn wir etwas voranbringen wollen. Es geht vornehmlich um die Entwicklung von Standards in Technik und Fortbildung, die letztlich auch dazu beitragen werden, dass Menschen im Theater sich entwickeln können, und dass diese Entwicklung tariflich einzuordnen ist. Wer sich fortbildet, soll dafür geschätzt werden, auch finanziell. Kreativität ist eben nicht nur auf die Kunst beschränkt. Das haben wir in den letzten 100 Jahren schon mehrfach bewiesen. 

 


Werden diese Maßnahmen rechtzeitig greifen, um den Spielbetrieb der Häuser im bisherigen Umfang aufrecht zu erhalten?
Wesko Rohde: Da wird es eine Talsohle geben, die in drei vier Jahren überwunden werden kann. Dafür müssen aber umgehend vor allem Meisterpositionen konkret gefördert werden, weil die für den Spielbetrieb von elementarer Bedeutung sind.

Was muss an den einzelnen Häusern passieren?
Wesko Rohde: Sie müssen ausbilden und erfahrene Menschen direkt fördern und sie an die Theater binden. Dazu gibt es unterschiedliche Modelle, die die Häuser für sich individuell entwickeln müssen. Ein Beispiel: Eine erfahrene Beleuchterin kann mithilfe ihres Arbeitgebers die Meisterprüfung ablegen und bekommt im Interesse des Theaters eine Freistellung und eventuell auch Unterstützung bei der Ausbildung. Dafür wäre sie bereit, sich für längere Zeit ans Haus zu binden. Das wäre eine klare Win-Win-Situation. Grundsätzlich brauchen wir mehr Flexibilität und Einfallsreichtum bei der Gestaltung attraktiver Arbeitsplätze für zukünftige Fachkräfte. Da ist mit Kompetenz, Phantasie und gutem Willen sehr viel möglich. Und ich bin mir sicher: Die Theater können das!

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